Schwarmintelligenz trifft Solarpunk: Der Weg in eine dezentrale Zukunft

Schwarmintelligenz (SI) ist das kollektive Verhalten dezentraler, selbstorganisierter Systeme, die aus einfachen, lokal interagierenden Einheiten bestehen. SI ist in der Natur verwurzelt und zeigt, wie individuelle Einfachheit zu intelligentem, adaptivem Gruppenverhalten führen kann.
Massive swarm of birds against a twilight sky; bizzarly, the shape looks like one of a whale's

Schwarmintelligenz (SI) ist das kollektive Verhalten dezentralisierter, selbstorganisierter Systeme, bestehend aus relativ einfachen Einheiten, die miteinander und mit ihrer Umgebung interagieren.[1] Dieses auf der Natur basierende Konzept hat sich zu einem wichtigen Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI), der Robotik sowie der Optimierung und des Managements komplexer Systeme entwickelt. Es zeigt anschaulich, wie Einfachheit auf individueller Ebene zu intelligentem, adaptivem Verhalten im kollektiven Maßstab führen kann.

Historie[1]

Lange bevor der Begriff Schwarmintelligenz geprägt wurde, wurden grundlegende Ideen von frühen Philosophen, Naturforschern und Wissenschaftlern erforscht. Im 4. Jahrhundert v. Chr. beobachtete Aristoteles, wie Vogelschwärme und Insektenvölker ohne zentrale Kontrolle koordiniert zu handeln schienen. In seinem Werk Historia Animalium beschrieb er Phänomene, die man heute als das Entstehen neuer, nicht unmittelbar erklärbarer Eigenschaften durch das Zusammenspiel von Teilen – also als Selbstorganisation und komplexe Systembildung – versteht.

Im 19. Jahrhundert untersuchte Charles Darwin Tiere mit Sozialverhalten eingehend. In The Origin of Species (Die Entstehung der Arten) analysierte und beschrieb Darwin das instinktive und hoch organisierte Verhalten von Ameisen und Bienen. Er argumentierte, dass die natürliche Selektion intelligentes Gruppenverhalten hervorbringen kann, ohne dass ein Management von oben erforderlich ist. Diese Studien legten den Grundstein für unser Verständnis von verteilter biologischer Intelligenz.

Im 20. Jahrhundert wurde die Kybernetik als formale Wissenschaft eingeführt. Dieses interdisziplinäre Gebiet erforscht wie biologische, mechanische oder rechenbasierte Systeme sich selbst regulieren und auf Veränderungen reagieren. Der Begründer der Kybernetik, Norbert Wiener, demonstrierte, wie Maschinen und lebende Organismen ihr Verhalten durch verteilte Signale und kontextuelles Bewusstsein zu koordinieren imstande sind. Seine Erkenntnisse legten den Grundstein für das Verständnis der dezentralen Zusammenarbeit, dem Schlüsselprinzip der Schwarmintelligenz.

Später betonte Heinz von Foerster die Rolle der Selbstorganisation in intelligenten Systemen. Er stellte fest, dass Systeme ihre Kohärenz aufrechterhalten und sich durch lokale Interaktion und interne Rückkopplungsschleifen anpassen können – Prinzipien, die heute im Mittelpunkt schwarmbasierter Ansätze in der KI und Robotik stehen.

Bunte Lichtshow mit einer goldenen und türkisfarbenen Eule aus beleuchteten Drohnen vor dem Nachthimmel

Moderne Meilensteine der Schwarmintelligenz

  • 1989: Der Begriff „Schwarmintelligenz“ wird erstmalig von Gerardo Beni und Jing Wang im Zusammenhang mit zellularen Robotersystemen eingeführt. Dies markierte den Beginn der Formalisierung der SI als ein Gebiet der Computerwissenschaften.
  • 1992: Marco Dorigo entwickelt den Ameisen-Kolonie-Optimierungs-Algorithmus (ACO)[2] nach dem Vorbild des Futtersuchverhaltens von Ameisen, um komplexe Wegfindungs- und Optimierungsprobleme zu lösen.

  • 1995: James Kennedy und Russell Eberhart stellen die Partikelschwarmoptimierung (PSO) vor,[2] inspiriert durch das soziale Verhalten von Vogel- und Fischschwärmen.

  • 2004: In dem von der EU finanzierten Projekt SWARM-BOTS verbinden sich Roboter physisch miteinander, um Brücken zu bilden oder das Gelände zu erklimmen – Vorläufer von sich wandelnden Weltraum-Rovern sowie Such- und Rettungsrobotern[3][4]

Fünf kleine Bots nutzen ihre Schwarmintelligenz zur Überquerung eines Baches, indem sie sich miteinander verbinden und als Team schieben und ziehen

Konzept der Schwarmintelligenz[1][2]

Schwarmintelligenzsysteme beruhen auf handelnden, autonomen, oft informationsverarbeitenden Einheiten. Dies können Drohnen, Roboter, Netzwerkknoten, Vögel, Fische usw. sein, die einem Set von lokalen Regeln folgen. Sie benötigen kein globales Wissen oder einen zentralen Anführer. Durch direkte Interaktionen entstehen kollektive Muster oder Lösungen.

Wichtige Merkmale:

  • Dezentralisierung – Keine zentrale Kontrolle; die Entscheidungsfindung erfolgt bottom-up

  • Selbstorganisation – Muster bilden sich spontan auf der Grundlage örtlicher Interaktion

  • Robustheit – Das System ist fehlertolerant und anpassungsfähig

  • Skalierbarkeit – SI-Systeme wachsen effizient, unabhängig von der Anzahl der Agenten

Quantifizierbare Errungenschaften

Schwarmintelligenz hat in vielen Branchen messbare Erfolge erzielt, insbesondere bei der Lösung von Problemen, welche für herkömmliche Systeme extrem schwierig zu bewältigen sind. Ein bemerkenswertes Beispiel ist eine Stanford-Studie aus dem Jahr 2016, bei der SI zum Einsatz kam. Sie zeigte, dass Ärzte, die mithilfe eines schwarmbasierten Systems kooperierten, Lungenentzündungen anhand von Röntgenbildern der Brust mit 33 % höherer Genauigkeit diagnostizierten als allein arbeitende Ärzte.[5] In der Logistik haben Schwarmalgorithmen komplexe Routenplanungsszenarien wie das klassische „Traveling-Salesman-Problem“[6] erheblich verbessert und so effizienteren Waren-Transport in globalen Lieferketten ermöglicht. Auch bei verteilten Rechnerstrukturen haben Netzwerke, die SI-basierte Routing-Methoden (z.B. „Firefly-Algorithmus“) anwenden, im Vergleich zu herkömmlichen Ansätzen eine um 10-20% bessere Lastverteilung und Ressourcennutzung erreicht, was zu einer zuverlässigeren und anpassungsfähigeren Konnektivität führt.[7]

Karte von Deutschland mit der kürzesten Route zu den 15 größten Städten

Diese ausgewählten Ergebnisse führen vor Augen, wie Schwarmintelligenz im Bereich der Optimierung, Anpassungsfähigkeit und Dezentralisierung punkten können. In der Robotik wird SI eingesetzt, um autonome Verbünde zu koordinieren – seien es Drohnen, die ein Katastrophengebiet kartieren, Roboter, die Lagerprozesse flexibel verwalten, oder Unterwasserfahrzeuge, die riesige Meeresgebiete erkunden. In der Künstlichen Intelligenz und Datenverarbeitung helfen SI-Prinzipien dabei, große Datensätze zu clustern, Muster zu bestimmen und Merkmale effizienter abzuleiten, um die Lernfähigkeit intelligenter Systeme zu verbessern.

Alles in allem zeigen diese Fortschritte, dass Schwarmintelligenz nicht nur Theorie ist. Sie bietet eine praxisorientierte Grundlage zur Neugestaltung von Lösungen für reale, komplexe Probleme

Auswirkungen auf Markt und Industrie

Im Jahr 2023 wurde der globale Markt für Schwarmintelligenz auf 35,2 Millionen Dollar geschätzt und soll bis 2030 bei einer CAGR von 38,4 % auf 306 Millionen Dollar anwachsen.[8] Zu den wichtigsten Anwendern gehören die Bereiche Verteidigung, Energie, Logistik und intelligente Fertigung. Unternehmen wie Amazon Robotics (USA),[9] Thales Group (Frankreich),[10] und Hitachi[11] (Japan) sowie staatliche Forschungseinrichtungen wie DARPA[12] forschen aktiv an SI-gesteuerten Systemen und setzen diese ein.

Schwarmintelligenz Trivia

  • Starenformation: Jeder Vogel reagiert auf nur sieben Nachbarn, doch ganze Schwärme bewegen sich im Gleichklang – ein Vorbild zur Koordination von Drohnenschwärmen und Satellitenformationen[13].

  • Fischschwarm: Lokale Interaktionen ermöglichen es ganzen Schwärmen, Räubern effektiv auszuweichen – zum Beispiel, indem ein dicht gepackter Schwarm gebildet wird (siehe Bild unten), ein abrupter Richtungswechsel geschieht, oder man urplötzlich auseinander stiebt, um den Gegner zu verwirren und zu entkommen. Militärdrohnen verwenden ähnliche Strategien zur effektiven Umgehung potenzieller Risiken.

Ein dicht gedrängter Schwarm von über hundert blau-silbernen Fischen

  • Hollywood & Spiele: Riesige digitale Menschenmengen in Der Herr der Ringe[14] und World War Z[15] wurden mit SI-Logik animiert. Real-Time Strategy Spiele wie StarCraft simulieren koordiniertes feindliches Verhalten nach denselben Prinzipien.[16] In Star Trek: The Next Generation funktioniert das Borg-Kollektiv als dezentralisierte Spezies mit einem Schwarmbewusstsein, bei der einzelne Drohnen als Teil eines größeren, miteinander verbundenen Systems agieren.

Schwarmintelligenz im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz

In den letzten Jahren hat die Unterscheidung zwischen SI und „Multi-Agent“-KI im weiteren Sinne zu verschwimmen begonnen. Da KI-Systeme immer autonomer und verteilter werden – vor allem in Bereichen wie Robotik, Verteidigung und intelligente Infrastrukturen, ganz zu schweigen von den Milliarden von Geräten im Internet der Dinge (IoT) weltweit – wird die kollaborative Dynamik, die früher ausschließlich der Schwarmintelligenz vorbehalten war, zunehmend in Multi-Agent-Systeme integriert. Diese Konvergenz spiegelt eine Verlagerung von biologisch inspirierten Modellen hin zu hybriden, missionsgesteuerten Systemen wider, welche Schwarmprinzipien mit fortgeschrittenem Lernen und Entscheidungsfindung verbinden.

Die komplexe und interdisziplinäre Natur der SI – die sich auf Biologie, Soziologie, Informatik und Mathematik stützt – kann sowohl in der Forschung als auch in der praktischen Umsetzung eine anspruchsvolle bis heikle Aufgabe darstellen. Doch genau in diese Richtung bewegt sich die Technologie: hin zu interdisziplinären Ansätzen und der Fähigkeit, Erkenntnisse über Grenzen hinweg zu verbinden, um nahtlose, durchgängige Lösungen für die Herausforderungen von heute zu bieten.

Schwarmintelligenz ist nach wie vor ein wertvolles und relevantes Forschungsgebiet mit großem Potenzial für innovative Anwendungen in Bereichen wie Robotik, Soziologie und Ökologie – vermutlich nun im größeren Kontext von KI eingebettet

Keine Obrigkeit: Schwarmintelligenz und der dezentrale Geist des Solarpunk

SI steht in engem Zusammenhang mit den Solarpunk-Idealen einer nachhaltigen, dezentralen und ökologisch harmonischen Welt. Wie das Solarpunk-Ethos basiert auch SI auf Kooperation, Anpassungsfähigkeit und Systemdenken. Ob es sich um verteilte Netzwerke zur Überwachung von Ökosystemen oder um selbstorganisierende Einheiten zur Optimierung von Energienetzen und Datenrouting handelt: Schwarmintelligenz verkörpert die Art von resilienter, dezentralisierte Logik, die auch das Solarpunk-Konzept vorsieht.

Schwarm von acht Drohnen mit grünen und orangefarbenen Lichtern, vor einem lila Himmel

Schlussbetrachtung

Schwarmintelligenz beweist, dass komplexes, anpassungsfähiges und intelligentes Verhalten aus der Zusammenarbeit einfacher Einheiten hervorgehen kann – ohne zentrale Kontrolle. Inmitten unserer KI-gesteuerten Ära bietet SI skalierbare, robuste und dezentralisierte Modelle zur Lösung immer komplexer werdender Problemstellungen unserer Zeit. Dabei geht es vor allem um Anwendungen in Logistik, Informatik, Netzwerken, dem Gesundheitswesen, der Robotik und im Bereich intelligenter Infrastrukturen.“

Quellen

[1] https://en.wikipedia.org/wiki/Swarm_intelligence
[2] https://www.vationventures.com/glossary/swarm-intelligence-definition-explanation-and-use-cases
[3] Swarms of self-assembling artefacts | SWARM-BOTS | Projekt | Results | FP5 | CORDIS | European Commission
[4] https://arquivo.pt/wayback/20160516020049/http://www.swarm-bots.org/
[5] https://unanimous.ai/stanford-radiology/
[6] https://en.wikipedia.org/wiki/Travelling_salesman_problem
[7] https://journals.indexcopernicus.com/api/file/viewByFileId/2077181
[8] https://www.grandviewresearch.com/industry-analysis/swarm-intelligence-market-report
[9] https://www.amazon.science/research-awards/success-stories/swarm-robotics-radhika-nagpal-schooling-robots-to-behave-like-fish
[10] https://www.thalesgroup.com/en/worldwide/defence-and-security/press_release/thales-demonstrates-its-capacity-deploy-drone-swarms/
[11] https://social-innovation.hitachi/en-us/case_studies/data-intelligence-tackles-climate-change/
[12] https://www.darpa.mil/research/programs/artificial-intelligence-reinforcements/
[13] https://journals.plos.org/ploscompbiol/article?id=10.1371/journal.pcbi.1002894
[14] https://www.wired.com/2002/12/digital-actors-in-rings-can-think/
[15] https://www.wired.com/2013/07/wwz-digital-zombies/
[16] https://www.researchgate.net/figure/Decentralised-unit-micromanagement-in-StarCraft-II-where-each-learning-agent-controls-an_fig1_324150894

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