Aardehuizen: Ein greifbares Solarpunk-Vorbild

Das Ökodorf Aardehuizen zeigt, wie nachhaltiges Design, erneuerbare Energien und Gemeinschaftsgeist ein reales Solarpunk-Modell erschaffen haben
Aardehuizen aerial view; some of the houses have half-dome cupulas.

Aardehuizen liegt in der niederländischen Provinz Overijssel und ist eines der bekanntesten Ökodörfer in Europa. Der Name bedeutet übersetzt „Erdhäuser“, was sowohl die physischen Gebäude als auch die Philosophie hinter dem Projekt widerspiegelt. Ein Aardehuis ist ein Haus, das seinen Besitzern eine möglichst gesunde Umgebung bieten soll durch die Verwendung natürlicher Materialien und die Maximierung natürlicher Energiequellen.

Obwohl Aardehuizen eher eine kleine Siedlung (mit einer Fläche von 17.000 m²) als eine Stadt ist, hielten wir es für lohnenswert, das Ökodorf in die Rubrik Stadtprojekte aufzunehmen, da es stark mit Solarpunk resoniert: die Harmonie von Technologie und Ökologie, die gemeinschaftsbasierte Verwaltung und die Vorreiterrolle Aardehuizens als lebendiges Experiment für eine andere Art von Zukunft.

Nahaufnahme eines der Halbkuppelhäuser mit einer bunten Holzfassade und einem Stapel Brennholz

Ursprünge und Vision

Die Wurzeln von Aardehuizen liegen in den frühen 2000er Jahren, als eine Gruppe niederländischer Pioniere nach Alternativen zu konventionellen Wohnmodellen suchte.[1] Sie wollten die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringern, mit lokal verfügbaren Materialien bauen, gesunde Wohnstrukturen schaffen und auf eine Art und Weise leben, welche die ökologischen Auswirkungen minimiert. Inspiriert von der Earthship-Bewegung entwarfen sie eine eigene, sehr erdverbundene Variante von Earth Houses. Diese sind nicht nur aus recycelten, sondern auch aus natürlichen Materialien konstruiert und in der Lage, einen Großteil ihrer Energie selbst zu erzeugen, Wasser aufzufangen und zu reinigen und Abfall zu recyceln.

Nach jahrelanger Planung und Verhandlungen mit den lokalen Behörden erfolgte Ende 2011 der erste Spatenstich für das Projekt. Die Gemeinde stand vor großen Herausforderungen, insbesondere bezüglich der Bauvorschriften, die eine solch unkonventionelle Bauweise nicht vorgesehen hatten. Nichtsdestotrotz errichteten sie das Dorf über einen Zeitraum von 4½ Jahren mit der Hilfe von etwa 40 Einwohnern und 1.500 Freiwilligen aus 27 Ländern. Die Gesamtbaukosten beliefen sich auf etwa 5 Millionen Euro.[2]

Luftaufnahme des Öko-Dorfes, bestehend aus 23 Häusern und einem Gemeinschaftszentrum, von oben

Layout und Bautechniken

Das Ökodorf besteht aus 23 Häusern und einem Gemeinschaftszentrum, dem Middenhuis. Zusammen beherbergen sie etwa 70 Bewohner, hauptsächlich Familien.[1]

Die Häuser sind in mehreren Reihen gebaut, wobei die Zugangswege sie wie Äste miteinander verbinden. Zwölf Häuser haben dicke Wände aus Autoreifen, die mit verdichteter Erde gefüllt sind, während die übrigen elf Häuser aus Strohballen mit Holzrahmen gebaut sind. Diese dicken Wände erzeugen eine thermische Masse, die die Innentemperaturen stabilisiert.[3]

Jedes Gebäude ist nach Süden ausgerichtet, mit 9° geneigten Dächern und großen Glasfassaden, welche die Sonneneinstrahlung im Winter maximieren und Überhitzung im Sommer minimieren. Die Dächer sind zur Isolierung und Regenwassersammlung begrünt, während die Nordseite teilweise in den Boden eingelassen ist, was die Stabilität erhöht und den Energiebedarf senkt. Der Energiekennwert der Häuser liegt bei null oder fast null, was bedeutet, dass nur wenig zusätzliche Energie (z.B. mittels Holzofen oder Wärmepumpe) zum Heizen benötigt wird.[3]

Erneuerbare Energien

Eine der wichtigsten Errungenschaften von Aardehuizen ist sein System für erneuerbare Energien. Auf den 23 Häusern und dem Gemeindezentrum haben die Bewohner 274 Photovoltaikmodule installiert, die jährlich etwa 63.300 kWh erzeugen. Diese Produktion macht die Haushalte mehr oder minder energieneutral, weil überschüssiger Strom an sonnenreichen Tagen in das nationale Energienetz eingespeist wird, während an dunkleren Tagen gegebenenfalls auch Strom aus dem Netz bezogen wird.[3]

Wasserversorgung und Entsorgung

Auf den Dächern von Aardehuizen wird zwar Regenwasser gesammelt, aber die Trinkwasserquelle ist Grundwasser, das vor Ort gepumpt und gereinigt wird und dessen Qualität monatlich überprüft wird. Grauwasser aus Waschbecken und Duschen fließt in Schilfrohr-Helophytenfilter, wo es auf natürliche Weise gereinigt wird, bevor es als Oberflächenwasser wieder in die Umwelt gelangt.[3]

Die meisten Haushalte verwenden Komposttoiletten und sparen so Tausende von Litern Trinkwasser pro Jahr, da nicht gespült werden muss. Anstatt Abwasser zu erzeugen, werden durch den Kompostierungsprozess Nährstoffe als Dünger für Gärten wiederverwertet. Dieses System reduziert nicht nur den Wasserverbrauch, sondern verhindert auch die Verschmutzung durch Schwarzwasser und entspricht damit den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft. [3]

Aardehuizen Gebäude mit Panoramafensterfront und Garten; Strohballen sind Teil der Wandstruktur

Gemeinschaft und Soziokratie

Die Nachhaltigkeit in Aardehuizen erstreckt sich nicht nur auf die physische Infrastruktur, sondern auch auf die Methoden, wie sich die Bewohner selbst organisieren. Das Ökodorf wird nämlich kooperativ verwaltet.

Die Entscheidungsfindung folgt den Prinzipien der Soziokratie, einer Governance-Struktur, welche Gleichheit, Zustimmung und verteilte Autorität betont. Die Bewohner sind in Komitees organisiert, die Verantwortung für Bereiche wie Gartenarbeit, Finanzen oder Bildung übernehmen.[4]

Zum Gemeinschaftsleben gehören gemeinsame Mahlzeiten, Unterstützung bei der Kinderbetreuung und die Pflege von Gemeinschaftsgärten. Für viele ist diese soziale Dimension ebenso wichtig wie die ökologische Gestaltung. Das Leben in Aardehuizen erfordert Kompromisse, Geduld und offene Kommunikation, aber es bietet auch die Unterstützung von Nachbarn, mit denen man Werte und Ressourcen teilt.

Bildung und Wirkung

Seit seiner Fertigstellung im Jahr 2015 hat Aardehuizen große Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Schulen, Universitäten und Umweltschützer informieren sich vor Ort über die Bautechniken, die erneuerbaren Energiesysteme und die kooperative Verwaltung. Workshops und Führungen machen es zu einem lebendigen Klassenzimmer für nachhaltiges Leben.

Die Wirkung und Ausstrahlungskraft von Aardehuizen geht über Grenzen hinweg: Das Projekt hat international andere Ökodörfer und alternative Wohnprojekte inspiriert. Indem es bewiesen hat, dass eine derartig unkonventionelle, disruptive Initiative im regulatorischen Rahmen eines dicht besiedelten Landes durchgeführt werden konnte, wurden neue Impulse resetzt.

Innenansicht eines Aardehuizen-Hauses. Das Halbkuppeldach ist eine Holzkonstruktion, die von zwei großen Baumstämmen getragen wird. Eine der Wände ist aus Reifen und Lehm gefertigt.

Herausforderungen

Trotz seiner Erfolge ist das Leben in Aardehuizen nicht ohne Herausforderungen. Der Bau mit unkonventionellen Methoden erforderte jahrelange Verhandlungen mit den Behörden, und auch heute noch müssen die Bewohner sicherstellen, dass Anlagen und Systeme den Sicherheits- und Umweltstandards entsprechen. Die Verbesserung der (Energie-)Autonomie und die Instandhaltung der Trinkwasser- und Abwassersysteme laufen kontinuierlich weiter.

Auf sozialer Ebene erfordert ein solch enges Zusammenleben starke Kommunikationsfähigkeiten. Die Soziokratie trägt zwar zu einer gerechten Verteilung der Macht bei, jedoch erfordert sie auch Zeit und Mühe, um gemeinsame Entscheidungen zu treffen. Nicht jeder ist für einen solchen Lebensstil geeignet, und Konflikte sind unvermeidlich.

Seite an Seite stehende Erdhäuser

Ein Solarpunk-Modell

Aardehuizen ist mehr als nur eine Ansammlung von ungewöhnlichen Häusern in den Niederlanden. Es ist ein funktionierendes Beispiel dafür, wie ökologisches Design, erneuerbare Energien und kooperatives Leben in den Alltag integriert werden können. Die 23 Häuser, das Gemeinschaftszentrum, 274 Sonnenkollektoren, Komposttoiletten und Schilfbeet-Wassersysteme liefern den messbaren Beweis, dass nachhaltiges Leben nicht nur möglich, sondern auch umsetzbar und praktikabel ist. Die soziale Dimension—70 Menschen, die nach gemeinsamen Werten und soziokratischen Prinzipien leben—zeigt, dass Umsetzungswille und Durchhaltevermögen auch von einer starken Gemeinschaft abhängt.

Solarpunk modelliert eine Zukunf, in der die Technologie mit der Natur harmoniert, in der die Städte grün und demokratisch sind und in der Gemeinschaften in Harmonie mit der Erde gedeihen. Aardehuizen verkörpert diese Vision im Kleinen: grüne Dächer, erneuerbare Energien, Gemeinschaftsgärten und eine auf Gleichberechtigung basierende Verwaltung. Dies beweist, dass Solarpunk nicht nur eine Ästhetik ist, sondern eine gelebte Realität, die hier und jetzt geschaffen werden kann!

Mit Blick auf die Zukunft können die Lehren aus Aardehuizen im Bereich Stadtplanung, Energie- und Sozialpolitik von wesentlicher Bedeutung sein. Ökodörfer wie dieses könnten, wenn sie repliziert und hochskaliert weren, einen Beitrag zur Transformation hin zu einer fossilfreien Gesellschaft leisten. Sie erinnern uns daran, dass Nachhaltigkeit nicht nur eine technische Herausforderung, sondern ein kulturelles Projekt ist—eines, das Vorstellungskraft, Zusammenarbeit und Mut erfordert.

Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung von Michel Post | ORIO architecten

Quellen:

[1] https://www.aardehuis.nl/index.php/en
[2] https://archive25.transitionnetwork.org/stories/aardehuis-earth-house-project-olst-netherlands
[3] https://www.aardehuis.nl/index.php/en/earthships/the-earthship-concept
[4] https://www.urbanitarian.com/masterplans_post?id=603

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