Urban Mining: Abfall in Gold verwandeln

Urban Mining ist die Rückgewinnung wertvoller Materialien aus Städten: eine Umwandlung von Gebäuden, Infrastruktur und Elektronikschrott in nachhaltige Rohstoffquellen für eine kreislauforientierte Solarpunk-Zukunft
Shredded electronics

Urban Mining ist der Prozess der Rückgewinnung wertvoller Rohstoffe – wie Metalle, Mineralien und Bauelemente – aus bestehenden städtischen Umgebungen, einschließlich Gebäuden, Infrastruktur und Elektronikschrott.[1] Im Gegensatz zum traditionellen Abbau, bei dem Ressourcen aus natürlichen Vorkommen gewonnen werden, konzentriert sich Urban Mining auf anthropogene (vom Menschen geschaffene) Bestände und macht somit Städte zu Ressourcenreservoirs. Dieser Ansatz steht im Einklang mit den Grundsätzen der Kreislaufwirtschaft. Diese hat zum Ziel, Abhängigkeiten von neuen Materialien zu verringern und Umweltauswirkungen zu minimieren.

Rückblick

Der Begriff „Urban Mining“ wurde in den 1980er Jahren durch Professor Hideo Nanjyo von der Tohoku Universität in Japan geprägt.[1] Ursprünglich konzentrierte sich der Ansatz auf die Rückgewinnung von Edelmetallen aus Elektronikschrott. Im Laufe der Zeit wurde das Konzept auf Materialien aus Bau- und Abbruchabfällen ausgeweitet, da man das enorme Ressourcenpotenzial in städtischen Gebieten erkannte.[2] Japans frühe Einführung von Urban Mining-Praktiken war ein Präzedenzfall, dem andere Länder folgen sollten.

Farbenfrohe grüne, rote und gelbe Recycling- und Mülltonnen

Motivation

Urban Mining hat sich als Antwort auf mehrere konvergierende Herausforderungen zu einer wichtigen Lösung entwickelt. Eine der Hauptmotivationen ist die Ressourcenknappheit. Angesichts der Endlichkeit natürlicher Ressourcen, gekoppelt mit der weltweit steigenden Nachfrage – insbesondere nach Seltenen Erden, welche für die Elektronik und erneuerbare Technologien unerlässlich sind – bietet Urban Mining eine zuverlässige und nachhaltige Versorgungsalternative. Auch Umweltaspekte spielen eine entscheidende Rolle. Traditionelle Rohstoffgewinnung ist energieintensiv und weist einen beträchtlichen ökologischen Fußabdruck auf. Im Gegensatz dazu vermag Urban Mining die Treibhausgasemissionen zu senken und die Artenvielfalt zu erhalten, weil weitaus weniger neuer Rohstoff abgebaut werden mussrt wird. Darüber hinaus darf das wirtschaftliche Potenzial von Urban Mining nicht außer Acht gelassen werden. Die Rückgewinnung von Materialien aus Abfallströmen erweist sich zunehmend als wirtschaftlich rentabel. So übersteigt der Wert der Metalle in ausrangierten Elektronikgeräten oft den von herkömmlichen Erzen und bietet Unternehmen und Kommunen einen profitablen Weg.

Funktionsweise

Der Urban Mining-Prozess beginnt mit der Sammlung von Abfallmaterialien, die aus abgerissenen Gebäuden, veralteter Elektronik und stillgelegter Infrastruktur stammen. Nach dem Einsammeln werden diese Materialien sortiert und verarbeitet, wobei wertvolle Bestandteile mit mechanischen, chemischen oder thermischen Methoden getrennt werden. Danach folgt eine Veredelungsphase, in der die zurückgewonnenen Materialien gereinigt werden, um den Industriestandards für die Wiederverwendung zu entsprechen. Schließlich werden diese gereinigten Ressourcen wieder in den Produktionskreislauf integriert und in neuen Produkten, Bauprojekten oder industriellen Anwendungen eingesetzt. Dieses geschlossene Kreislaufsystem ist ein Beispiel für die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft.

Konzept der Kreislaufwirtschaft

Branchen

Urban Mining unterstützt eine Reihe von Branchen und Produkten. In der Elektronikindustrie ermöglicht es die Rückgewinnung von Edelmetallen wie Gold, Silber und Palladium aus Elektroschrott. Dem Bauwesen eröffnet es die Wiederverwendung von Ziegeln, Holz, Betonelementen, Türen und Metallen aus abgerissenen Gebäuden. Der Industriesektor profitiert vom Recycling von Metallen wie Eisen, Kupfer und Aluminium für die Produktion. Ein gutes Beispiel ist auch die Automobilindustrie, wo alte Autos schon seit Jahrzehnten in großem Umfang recycelt werden. Im Zuge der Einführung von Elektrofahrzeugen (EVs) liegt der Schwerpunkt nun zunehmend auf der Rückgewinnung wertvoller Materialien aus Hochspannungsbatterien.

Großer Autofriedhof mit vielen teilweise demontierten Autos

Nutznießer

Die Vorteile von Urban Mining kommen einer Vielzahl von Interessengruppen entgegen . Hersteller nutzen beispielsweise recycelte Materialien, um die Produktionskosten zu senken und die Umweltbelastung zu reduzieren. Bauunternehmen integrieren zunehmend wiedergewonnene Materialien in ihre Bauprojekte, um sowohl gesetzliche Vorschriften als auch Nachhaltigkeitsziele zu erfüllen. Regierungen und Kommunen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle, indem sie Urban Mining Initiativen als Teil umfassenderer Abfallmanagement- und Klimastrategien umsetzen. Darüber hinaus engagieren sich gemeinnützige Organisationen häufig im Urban Mining Bereich, um soziale und ökologische Anliegen voranzutreiben und die Kluft zwischen Nachhaltigkeit und kommunaler Entwicklung zu überbrücken.

Urban Mining: Metall-Recycling

Aluminium (Al) – wird häufig in Baumaterialien, Fahrzeugrahmen, Dosen, Folien und Verpackungen verwendet. Es ist leicht und ohne Qualitätsverlust endlos recycelbar und benötigt nur etwa 5 % der Energie, die für die Herstellung von Primäraluminium benötigt wird.

Ein großes Netz gefüllt mit Aluminiumdosen, die für das Recycling bestimmt sind
  • Gold (Au) – Kommt in Leiterplatten, Steckern und Mikroprozessoren vor; es ist sehr wertvoll und wird in großem Umfang aus Elektroschrott recycelt. Das Recycling von Gold verläuft ohne Qualitätsverlust und erfordert nur 5-10% der Energie, die für die Gewinnung und Veredelung von neuem Gold aus Erz benötigt wird.

  • Kupfer (Cu) – Wird in Kabeln, Elektromotoren und Rohren verwendet. Es lässt sich leicht zurückgewinnen und sehr effizient recyceln. Im Vergleich zur Primärproduktion werden ca. 85% der Energie eingespart. Etwa 80% des jemals geförderten Kupfers wird heute noch verwendet!

  • Palladium (Pd) – Wird in Katalysatoren und in der Elektronik eingesetzt. Es ist wertvoll und wird oft aus Auto- und Industrieabfällen zurückgewonnen. Im Jahr 2020 entfiel etwa 85% der weltweiten Palladiumnachfrage auf den Automobilsektor, vor allem für die Verwendung in Katalysatoren, welche zur Eindämmung schädliches Emissionen von Verbrennungsmotoren benutzt werden.[3] Mit der zunehmenden Verbreitung von Elektrofahrzeugen (EVs), die per se keine Katalysatoren benötigen, wird die Nachfrage nach Palladium jedoch voraussichtlich stark zurückgehen. Analysten von S&P Global und dem World Platinum Investment Council rechnen mit einem Rückgang der Palladiumnachfrage um 30-40% bis 2030 aufgrund diesem Trend hin zu Elektrofahrzeugen.[4]

  • Lithium (Li) – Eine Schlüsselkomponente von wiederaufladbaren Batterien (vor allem in Elektrofahrzeugen und Elektronik); wird aufgrund der steigenden Nachfrage zunehmend für die Rückgewinnung genutzt.

Urban Mining: Weitere Anwendungsfälle

Bei der Wiederverwendung von Baumaterialien werden Komponenten von abgerissenen Gebäuden wiederverwendet, um Ressourcen zu sparen und Abfall zu reduzieren. Gängige Beispiele sind wiederverwendete Ziegel und Mauerwerk, die sowohl den architektonischen Charakter als auch den ursprünglich gebundenen Kohlenstoff in sich tragen. Dann gibt es recycelten Baustahl, der für die Verwendung in neuen Projekten umgeschmolzen oder neu geformt wird. Schließlich werden zunehmend Fertig-Betonwände aus abgerissenen Gebäuden wiederverwendet, damit die Produktion von neuem Zement vermieden wird und CO2-Emissionen gesenkt werden.

Luftaufnahme von gebrauchtem Baumaterial, das auf einem Schrottplatz liegt

Durch die Rückgewinnung von Industrieabfällen werden wertvolle Materialien aus den Nebenprodukten der Produktion gewonnen, was die Kreislaufwirtschaft unterstützt und Abfall reduziert. Flugasche aus Kohlekraftwerken ersetzt Zement im Beton, was zur Senkung von Treibhausgasen und Deponieabfällen beiträgt. Stahlschlacke wird zu Straßenbelag oder Bauzuschlagstoff. Säurehaltige Industrieabwässer werden verarbeitet, um Metalle wie Zink und Kupfer zu extrahieren und die Umweltbelastung durch Abfälle zu verringern.

Wiederverwendung von EV-Batterien: In der Automobilindustrie werden Hochvoltbatterien aus Elektrofahrzeugen ausgebaut, getestet und für eine Zweitnutzung, etwa in stationären Energiespeichersystemen, wiederverwendet. Dies erhöht die Lebensdauer wertvoller Materialien wie Lithium, Kobalt und Nickel zu und reduziert gleichzeitig den Bedarf an neu abgebauten Rohstoffen.

Urbaner Bergbau in ausgewählten Ländern und Orten

Taiwan:

Taiwan hat sich durch langfristige Programme zum Recycling von Elektronikschrott (E-Waste) und Industriepartnerschaften zu einem weltweit führenden Unternehmen im Urban Mining entwickelt.

Recycling-Mengen: Taiwan recycelt jährlich etwa 117.000 Tonnen Elektro- und Elektronik-Altgeräte, darunter 18.000 Tonnen IT-Geräte und 4.500 Tonnen Beleuchtungsabfälle.[5]

Zusammenarbeit mit der Industrie: Unternehmen wie Solar Applied Materials Technology Corp. haben firmeneigene Recyclingverfahren entwickelt, die eine Reinheit von 99,99% bei den zurückgewonnenen Metallen wie Gold und Silber erreichen. Im Jahr 2022 hat Solar Tech 247 Tonnen Material recycelt und damit die Kohlenstoffemissionen um über 440.000 Tonnen gesenkt[6].


Leuven, Belgien:

Materialrückgewinnung: Die Stadt arbeitet mit Organisationen wie „Atelier Circuler“ zusammen, um wiederverwendbare Materialien aus Gebäudeabriss- und Renovierungsarbeiten zurückzugewinnen. Dieser Ansatz trägt der Tatsache Rechnung, dass etwa 35% der Abfälle in Flandern aus Bau- und Abbrucharbeiten stammen.[7]

Soziale Auswirkungen: Die gemeinnützige „Materialenbank“ spielt eine zentrale Rolle bei der Verwertung und dem Wiederverkauf von Bauschutt und fördert soziale Integration, welche Langzeitarbeitslose und Migranten unterstützt.[8]

Nachhaltigkeitsziele: Diese Initiativen tragen zu Leuvens Ziel bei, bis 2050 kohlenstoffneutral zu werden, und legen den Schwerpunkt auf langfristige Programme und die Schaffung von Grünflächen.[8]


Japan:

E-Waste-Recycling: Im Jahr 2019 hat Japan 361.000 Tonnen Material aus gebrauchten elektronischen Geräten recycelt, die höchste Menge unter den OECD-Mitgliedsstaaten.[9]

Edelmetallrückgewinnung: Schätzungen gehen davon aus, dass Japans Urban Mining bis zu 300.000 Tonnen an Seltenen Erden wiedergewinnt: ein erhebliches Potenzial zur Kompensierung von Importen.[10]

Olympische Initiative: Für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio wurden alle Medaillen aus recycelten Metallen aus Elektroschrott hergestellt, der aus ausrangierten Smartphones und Komponenten der Unterhaltungselektronik bestand.[11]

Urban Mining in der Solarpunk-Ära

Solarpunk stellt sich eine Zukunft vor, in der Technologie und Natur harmonisch koexistieren. Urban Mining verkörpert diese Vision, indem es Abfälle in wertvolle Ressourcen umwandelt, die Umweltzerstörung und die Abhängigkeit von fossilen Materialien verringert und ein größeres Bewusstsein und Engagement der Gemeinschaft fördert. Durch die Rückgewinnung von Materialien aus der der urbanen Umwelt können Städte zu sich selbst erhaltenden Ökosystemen werden und ihren ökologischen Fußabdruck minimieren.

Obwohl Solarpunk für einen dezentralen Ansatz eintritt, sind gerade die heutigen Großstädte die Kristallisations- und Ausgangspunkte der Solarpunk-Transformation. Urban Mining spielt in Großstädten eine entscheidende Rolle – nicht nur, weil es eine große Anzahl von Einwohnern und Unternehmen einbezieht, sondern auch, weil Städte als Multiplikatoren fungieren, die starke Signale aussenden und Beispiele setzen, die anderen Gemeinden, Regionen und Besuchern als Vorbild dienen.

Quellen:

[1] https://en.wikipedia.org/wiki/Urban_mining
[2] https://www.weforum.org/stories/2023/11/urban-mining-circular-economy-ewaste/
[3] https://www.thermofisher.com/blog/metals/platinum-group-metal-recovery-from-spent-catalytic-converters-using-xrf/
[4] https://www.reuters.com/markets/commodities/platinum-metals-face-structural-hit-demand-electric-vehicle-revolution-2024-03-20
[5] https://www.researchgate.net/figure/Statistics-on-the-amounts-of-recycled-WEEE-in-Taiwan_tbl5_342753305
[6] https://time.com/6957989/taiwan-urban-mining/
[7] https://vlaanderen-circulair.be/en/cases/detail/urban-mining-mining-leuven-together
[8] https://www.theguardian.com/lifeandstyle/2025/mar/19/its-beautiful-dont-you-think-the-urban-miners-unearthing-treasure-in-belgiums-homes-and-garages
[9] https://ceoworld.biz/2024/12/30/japan-expands-urban-mining-efforts-with-e-waste-imports-from-asean/
[10] https://project2049.net/2010/11/02/urban-mining-recycling-japans-rare-earth-metals/
[11] https://www.architecturaldigest.com/story/tokyos-olympic-medals-recycled-iphones

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