Fusion: Der Heilige Gral sauberer Energie

Fusionsenergie -- oft als "heiliger Gral" sauberer Energie gepriesen -- ahmt den natürlichen Prozess der Sonne nach, bei dem leichtere Elemente mit schwereren verschmelzen und dabei eine enorme Menge an Energie freisetzen
Schematics of the "Wendelstein 7X magnets system, needed to keep the  very hot plasma in place, where fusion can happen

Einführung

Fusionsenergie, die oft als „heiliger Gral“ sauberer Energie bezeichnet wird, hat in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte gemacht. Im Gegensatz zur konventionellen Kernspaltung, bei der schwere Atomkerne gespalten werden, um Energie zu erzeugen, ahmt die Fusion den Prozess der Sonne nach. Dabei verschmelzen leichtere Elemente wie Wasserstoff zu Helium und geben dabei eine hohe Energie ab. [1][2]

Solarpunk-Landschaft, die eine Halbinsel mit acht großen Fusionsreaktoren im Hintergrund zeigt; im Vordergrund sitzen Menschen auf einer grünen Böschung und beobachten den Sonnenuntergang

Seit Jahrzehnten verlässt sich die Welt auf Kernspaltungsenergie, um ihren wachsenden Energiebedarf zu decken. Obwohl Kernspaltungskraftwerke enorme Mengen an Elektrizität geliefert haben, haben sie auch erhebliche Nachteile. Der Prozess erzeugt hochradioaktive Abfälle. Dieser bleibt aufgrund seiner extrem langsamen Zerfallsrate über Millionen von Jahren gefährlich. Die Zerfallsrate radioaktiver Materialien bezieht sich auf die Zeit, die vergeht, bis die Hälfte einer radioaktiven Substanz ihre Strahlung verliert, die sogenannte Halbwertszeit. Nebenprodukte der Kernspaltung, wie Plutonium-239, haben eine Halbwertszeit von 24.100 Jahren, andere sogar von Millionen Jahren, was ein Risiko für unzählige Generationen darstellt.[3]

Darüber hinaus haben der Kernspaltungstechnologie innewohnenden Risiken zu katastrophalen Super-GAUs (Größter Anzunehmender Unfall) geführt. Die Kernschmelzen in Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011) haben die extremen Schwachstellen beim Betrieb von Kernkraftwerken aufgezeigt.[4][5] Der radioaktive Fallout dieser Katastrophen tötete Menschen, zerstörte Ökosysteme, vertrieb Gemeinden und führte zu langfristigen gesundheitlichen Folgen. Im Jahr 2012 haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz berechnet, dass solche Ereignisse alle 10 bis 20 Jahre auftreten könnten – etwa 200 Mal häufiger als in der Vergangenheit angenommen! [6]

Im Gegensatz dazu entstehen bei der Fusionsenergie radioaktive Abfälle mit deutlich kürzeren Halbwertszeiten. Tritium, ein Nebenprodukt der Fusionsreaktionen, hat beispielsweise eine Halbwertszeit von nur 12,3 Jahren.[7] Dieser krasse Unterschied bedeutet, dass Fusionsabfälle viel weniger langfristige Entsorgung (und damit verbundene Kosten) erfordern und ein drastisch geringeres Risiko für künftige Generationen darstellen.

Es ist also an der Zeit, den Schwerpunkt zu verlagern und verstärkt in die Fusionstechnik zu investieren. Diese erzeugt nur minimal radioaktive Nebenprodukte, birgt kein Risiko eines Super-GAUs und verfügt über einen reichlichen Brennstoffvorrat, welcher aus Meerwasser und anderen zugänglichen Quellen stammt.

Fusionstechnologie

Ein Fusionsreaktor funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie die Sonne. Dabei verschmelzen leichtere Atomkerne (Wasserstoff) zu einem schwereren Kern (Helium). Dieser Prozess erfordert extrem hohe Temperaturen, etwa 100 Millionen Grad Celsius, um die Abstoßungskräfte zwischen den positiv geladenen Atomkernen zu überwinden. Bei diesen Temperaturen wird der Brennstoff zu einem heißen, elektrisch geladenen Gas, das Plasma genannt wird.[8] Ihr kennt Plasma vielleicht von Neon- oder Leuchtstoffröhren, aber in ihnen ist das Plasma viel kälter und soll Licht — keine Wärme — erzeugen.

Ein Fahrrad aus grünen, gelben, violetten und orangefarbenen Neonröhren auf schwarzem Hintergrund; Neonröhren verwenden ein kaltes Plasma, um Licht zu erzeugen

Im Plasmazustand können die Kerne miteinander kollidieren und verschmelzen, wodurch eine enorme Menge an Energie freigesetzt wird. Diese Energie liegt in erster Linie in Form von Wärme vor, welche dann zur Erzeugung von Elektrizität durch konventionelle Stromerzeugungsmethoden, wie den Antrieb von Turbinen, genutzt werden kann. Fusionsreaktoren versprechen eine nahezu unbegrenzte und saubere Energiequelle, sobald die verbliebenen technischen Herausforderungen überwunden worden sind.

Schaubild des EUROfusion-Kraftwerks, in dem Energie aus dem Fusionsprozess Wasser erhitzt und Strom erzeugen kann - wie in einem herkömmlichen Dampfkraftwerk

Durch Investitionen in diese Spitzentechnologie kann die Menschheit eine umweltfreundlichere und nachhaltigere Energieversorgung für alle Bewohner der Erde schaffen. Dies geht Hand-in-Hand mit Solarpunk Prinzipien, welche ebenfalls saubere Energiequellen einfordern.

Geschichte der Fusionsenergie

Die Geschichte der Fusionsenergie begann im frühen 20. Jahrhundert mit der Entdeckung des britischen Physikers Francis William Aston im Jahr 1920, dass die Masse von vier Wasserstoffatomen größer ist als die eines Heliumatoms.[1] Dies bedeutete, dass durch die Verbindung von Wasserstoffatomen zu Helium Energie freigesetzt werden könnte. In den 1950er Jahren wurden die Tokamak- und Stellarator-Konzepte entwickelt, welche die Grundlage für moderne Fusionsreaktoren bildeten. [1]

Stellarator "Wendelstein" mit seiner typischen Doughnut Form

„Doughnut“-förmige Tokamaks und Stellaratoren sind Apparaturen, die dafür designt wurden ein extrem heißes Plasma mittels Magnetfeldern zu erzeugen, in denen die Kernfusion ablaufen kann. Magnetfelder sind unerlässlich, da sie verhindern, dass das Plasma die Reaktorwände berührt und sich abkühlt. Tokamaks nutzen eine Kombination aus kreisförmigen Magnetfeldern und elektrischen Strömen innerhalb des Plasmas, um ein Drehfeld zu erzeugen, welches das Plasma an Ort und Stelle hält. Die Verwendung von elektrischen Strömen kann jedoch zu Instabilitäten führen. [9]

Stellaratoren umgehen dieses Problem, indem sie exakt geformte externe Magnete verwenden, um die Drehfelder zu erzeugen. Zwar sind diese maßgeschneiderten Magnete schwieriger herzustellen, jedoch ermöglichen sie einen stabilen und kontinuierlichen Betrieb. Fortschritte in der Modellierung und im Ingenieurwesen geben den Stellarator-Reaktoren neuen Auftrieb und verringern die Kluft zwischen den beiden Konzepten. [10]

Ausstellungsstück eines Teils eines "Doughnut"-förmigen Stellarator-Fusionsreaktors; die maßgeschneiderten, verschlungenen Magnetspulen sind deutlich zu erkennen

Top-Teams und -Länder im Bereich Fusionsenergie

ITER (Internationaler Thermonuklearer Versuchsreaktor), Frankreich: Ein Gemeinschaftsprojekt, an dem die Europäische Union, die Vereinigten Staaten, Russland, China, Indien, Japan und Südkorea beteiligt sind. Ziel von ITER ist es, die Machbarkeit der Kernfusion als großangelegt und kohlenstofffreie Energiequelle zu demonstrieren. [11]

ITER ist ein bahnbrechendes Fusionsexperiment, das auf dem magnetischen Einschluss in einem Tokamak beruht, bei dem supraleitende Magnete das Plasma in einer Kammer kontrollieren und einschließen. ITER verwendet eine Mischung aus Deuterium und Tritium, zwei Wasserstoffisotopen, als Fusionsbrennstoff. Sobald diese Kerne fusionieren, erzeugen sie Helium und ein Neutron und setzen dabei eine große Menge an Energie frei.

Tokamak Spulen zur Erzeugung eines Magnetfeldes; ITER Projekt

Zweck von ITER ist es, die Machbarkeit von Fusionsenergie im großen Maßstab zu demonstrieren. Als Projektziel sind 500 MW Ausgangsleistung mit nur 50 MW Eingangsleistung anvisiert, um damit einen Leistungsgewinn von 10 zu erreichen — ein wichtiger Meilenstein in der Fusionsenergieforschung. Das Projekt zielt auch darauf ab, Schlüsseltechnologien zu testen, die für künftige Reaktoren benötigt werden, z.B. den kontinuierlichen Plasmabetrieb und Systeme zur Gewinnung von Tritiumbrennstoff. Durch das Erreichen dieser Ziele wird ITER den Weg für die Entwicklung kommerzieller Fusionskraftwerke ebnen.

Die Entscheidung, einen Tokamak für ITER zu verwenden, basiert auf seiner langen Erfolgsgeschichte und seiner erwiesenen Effizienz beim Einschluss des Plasmas. Obwohl Tokamaks mit Herausforderungen wie Instabilitäten und der Abhängigkeit vom gepulsten Betrieb konfrontiert sind, bleiben sie die fortschrittlichste und praktikabelste Option für eine skalierbare Fusionsenergieerzeugung.

Baustelle der ITER-Fusionsanlage inmitten eines Waldes, mit einer Bergkette im Hintergrund

Commonwealth Fusion Systems (USA): Dieses Startup, das 2018 aus dem MIT ausgegründet wurde, konzentriert sich auf die Entwicklung kompakter Fusionsreaktoren unter Verwendung von Hochtemperatursupraleitern (HTS). Das SPARC Projekt zielt darauf ab, einen Nettoenergiegewinn aus der Fusion zu erzielen, unter Anwendung von HTS-Magneten für ein kleineres, effizienteres Reaktordesign. Nach dem Erfolg von SPARC plant CFS den Bau von ARC, einem kommerziellen Fusionskraftwerk, das Hunderte von Megawatt an sauberem Strom erzeugen soll.

CFS wirbt auch damit, dass die ersten kommerziellen Fusionsreaktoren in den frühen 2030er Jahren verfügbar sein werden. Sie planen den Bau des weltweit ersten Fusionskraftwerks für den Netzbetrieb in Chesterfield County, Virginia.[9] Die Anlage, die auf einem Tokamak-Fusionsreaktor basiert und ARC (= Affordable, Robust, Compact) genannt wird, soll etwa 400 Megawatt sauberen, CO2-freien Strom erzeugen, genug, um große Industrieanlagen oder etwa 150.000 Haushalte zu versorgen. [12]

Mikrowellen-Energieinjektor für Commonwealth Fusion Systems; das Startup wirbt mit ersten kommerziell verfügbaren Fusionskraftwerkn in den 2030ern

General Fusion (Kanada) leistet Pionierarbeit im Bereich der „magnetized target fusion“, um die Fusionsenergie bis zum Ende des Jahrzehnts auf den Markt zu bringen. Bei dieser innovativen Technik werden leistungsstarke Kolben zur Komprimierung des Plasmas eingesetzt, um somit die für die Fusion erforderlichen Bedingungen zu schaffen. Diese Methode verspricht einen praktischeren und kostengünstigeren Weg zur kommerziellen Fusionsenergie. [13]

Kosten und Effizienz

Die Kosten der Fusionsenergie sind derzeit aufgrund der Komplexität und des Umfangs der Projekte hoch. ITER zum Beispiel hat ein Budget von über 20 Milliarden Euro (etwa 22 Milliarden Dollar). Mit dem Fortschritt der Technologie und dem Bau weiterer Reaktoren werden die Kosten jedoch voraussichtlich sinken. Die Effizienz von Fusionsreaktoren wird an ihrer Fähigkeit gemessen, mehr Energie zu erzeugen als sie verbrauchen. Die derzeitigen Versuchsreaktoren haben einen Netto-Energiegewinn erzielt, aber kommerzielle Reaktoren benötigen noch ein paar Jahrzehnte.

Im Februar 2024 erreichte die Joint European Torus (JET) Anlage in Großbritannien einen bahnbrechenden Meilenstein, indem sie einen neuen Weltrekord für die Fusionsenergieproduktion aufstellte. Bei den letzten Deuterium-Tritium-Experimenten erzeugte JET aus nur 0,2 Milligramm Brennstoff über einen Zeitraum von fünf Sekunden 69 Megajoule an Energie. [14] Diese bemerkenswerte Leistung demonstriert das Potenzial der Fusionsenergie für zukünftige Kraftwerke. Der Erfolg dieser Experimente liefert wertvolle Erkenntnisse und stärkt das Vertrauen in die Entwicklung von kommerziellen Fusionsreaktoren.

Ausblick auf die nächsten 50 Jahre

Es wird erwartet, dass sich Fusionsenergie in den nächsten 50 Jahren erheblich weiterentwickeln wird. Fortschritte in der Materialwissenschaft, bei Supraleitern und in der Plasmaphysik werden Verbesserungen beim Reaktordesign und der Effizienz vorantreiben. Auch bei der kalten Fusion, einer umstrittenen und weniger bekannten Form der Fusionsenergie, könnte es zu einem Durchbruch kommen, wenn die Forscher die derzeitige Skepsis und technischen Hürden überwinden. Ziel ist es, kommerzielle Fusionsreaktoren zu entwickeln, die eine zuverlässige und nachhaltige Quelle für saubere Energie darstellen und so zu den weltweiten Bemühungen um eine Dekarbonisierung beitragen.

Fazit

Die Fusionsenergie birgt ein großes Potential für eine nachhaltige Zukunft und entspricht den Solarpunk-Idealen einer umweltfreundlichen, sauberen Energie. Auch wenn es noch Herausforderungen gibt, zeigen die laufende Forschung und die internationale Zusammenarbeit deutliche Fortschritte und machen den Weg frei für ein Morgen, gespeist aus Fusionsenergie.

Quellen:

[1] https://en.wikipedia.org/wiki/History_of_nuclear_fusion
[2] https://www.britannica.com/science/nuclear-fusion/History-of-fusion-energy-research

[3] Plutonium-239 – Wikipedia
[4] https://www.iaea.org/topics/chornobyl
[5] https://www.unscear.org/unscear/en/areas-of-work/fukushima.html

[6] https://phys.org/news/2012-05-probability-contamination-severe-nuclear-reactor.html

[7] Tritium – Wikipedia
[8] https://en.wikipedia.org/wiki/Fusion_power
[9] https://en.wikipedia.org/wiki/Tokamak
[10] https://en.wikipedia.org/wiki/Stellarator
[11] https://www.iter.org
[12] https://cfs.energy/news-and-media/commonwealth-fusion-systems-to-build-worlds-first-commercial-fusion-power-plant-in-virginia

[13] https://generalfusion.com/post/category/press-releases/
[14] JETs letzte Tritium-Experimente bringen neuen Rekord bei der Fusionsenergie – GOV.UK

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